Soziales Netzwerk Solidarität
Andreas Beaugrand in Zusammenarbeit mit Franz Schaible1
Nicht reden, sondern handeln!
Die Lebenswirklichkeit von Menschen, die wettbewerbs- und rationalisierungsbedingt unter dem Mangel an bezahlten Arbeitsplätzen leiden, oft in Arbeitslosigkeit und folglich in Armut geraten sind, ist gesellschaftsprägend. Doch selten zeigen sich Arbeitslosigkeit und Armut so öffentlich wie beispielsweise beim Schlangestehen in Verteilstellen für Lebensmittel. Individuelle Scham und Schuldgefühle sind eher vorhanden als die offensichtliche Erkenntnis: Auf die wenigen vorhandenen offenen Stellen haben nicht alle Arbeitslose Platz. Arbeitslosigkeit und Armut verstecken sich fatalerweise. Der Ruf nach materieller Unterstützung, sozialer Beratung, Beschäftigung oder Qualifizierung ist von Betroffenen kaum vernehmbar.
Hilfen bei Arbeitslosigkeit und Armut zu initiieren und zu organisieren, wurde seit 1980
zum roten Faden
des Bielefelder Soziologen Franz Schaible und seines Handelns, der sein
Netzwerk Solidarität
, beeinflusst von Studentenbewegung und neuen christlich-sozialen
Gedanken Oswald von Nell-Breunings, dem Nestor der christlichen Soziallehre,2 und seinem
persönlich grundlegenden Prinzip aufgebaut hat: Alle Projekte haben einen doppelten
Nutzen, indem Arbeitslose sinnvoll beschäftigt und zugleich ein gemeinnütziger Zweck
erfüllt wird.
Die Gründung der GAB: Franz Schaible, der Job-Erfinder
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Initialzündungen für den Aufbau des Sozialen
Netzwerks Solidarität waren und sind für den
1950 geborenen gelernten Schlosser, Sozialarbeiter und Diplomsoziologen Franz Schaible einerseits die tiefe und durchaus religiös verwurzelte
Überzeugung, dass Geben seliger denn Nehmen
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ist, und andererseits ein jugendliches Schlüsselerlebnis
. 1971 stand Schaible mitten im Sozialarbeiterstudium, als seine Tochter geboren wurde
und die Studienförderung für zwei Erwachsene und ein Kind nicht reichte. Franz Schaible beantragte Sozialhilfe in Paderborn, ganze 150 DM monatlich, nur für ein paar Monate.
Der Antrag
wurde abgelehnt, weil er als Schlosser in der Lage war, seine Familie zu ernähren und bereits ein Berufsabschluss vorhanden war. Diese Situation hat mich geprägt. Ich weiß, wie das ist, wenn man gegenüber Behörden zum Bittsteller wird.
Als er
sein Studium anbrechen wollte, um wieder als Schlosser tätig zu werden, verhinderte die Fachhochschulrektorin die Exmatrikulation, indem sie auf das Sozialamt einwirkte, für einige Monate bis zum Studiumsabschluss zu zahlen.
Als Sozialarbeiter bei der Stadt Kassel schon im Beruf, war Schaible zunächst für auffällig gewordene Jugendliche, dann für Obdachlose zuständig, und er erkannte schnell, dass bürokratische Strukturen in den Kommunen wie bei den Wohlfahrtsverbänden effektive Sozialarbeit behindern. Um für konzeptionelle wie strategische Veränderungen gewappnet zu sein, begann er 1974 an der Universität Bielefeld das Studium der Soziologie mit dem Schwerpunkt Organisationsanalyse und -entwicklung. Schnell wurde für ihn deutlich, dass ein Weg zurück zur städtischen Sozialarbeit für ihn jetzt nicht mehr möglich war. Größere Hilfe für Menschen in Not versprach er sich durch die Gründung einer eigenen Hilfsorganisation.
Gleich nach dem Diplom begann Franz Schaible 1979, seinen Traum von einer eigenen Arbeitslosenhilfsorganisation zu verwirklichen, zunächst in Form einer gemeinnützigen GmbH, einer Gesellschaftsform, die bis dahin weitgehen unbekannt war. Die Finanzverwaltung forderte den Beweis, dass es derartige Gesellschaften gebe und darüber hinaus ein Rechtsgutachten, das die Gemeinnützigkeit seiner Satzung belegt. Schaibles Soziologieprofessor Dr. Karl Krahn vermittelte ihn schließlich an den Gesellschaftsrechtler Prof. Dr. Harm Peter Westermann von der juristischen Fakultät, der die neue Satzung erstellte, und an den Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Harald Weber, das Gutachten ebenfalls kostenfrei verfasste. Die Behörde prüfte und prüfte ... ein halbes Jahr – und stimmte der neuen Idee schließlich zu.
Karl Krahn, von 1999 bis 2005 Kuratoriumsvorsitzender der Stiftung Solidarität bei Arbeitslosigkeit und Armut und Mitglied der GAB-Gesellschafterversammlung, verhalf seinem Diplomanden zusammen mit zehn anderen Engagierten auch zu dem nötigen Startkapital, indem jeder mit 5.000 DM bürgte, und vermittelte ihm zugleich einen Drei-Monats-Job als Experte für gewerbliche Arbeitnehmerüberlassung beim Kölner ISO-Institut, denn genau zu diesem Thema hatte er seine Diplomarbeit geschrieben. Nun hatte Franz Schaible die Aufgabe, dazu Fakten für die Bundesregierung zu einem Bericht an den Bundestag zusammenzustellen – und Politik zu machen.
Zurück in Bielefeld, konnte 1980 die Gesellschaft für Arbeits- und Berufsförderung gGmbH
(GAB) gegründet werden, und Franz Schaible bezog sein erstes Bielefelder Büro beim alten Crüwell
(Franz Schaible) im Crüwell-Haus inmitten
der Altstadt. Hier begann er, sein soziales Netzwerk zu knüpfen. So kam er schnell in Kontakt
zum damaligen Arbeitsamtsdirektor Werner Boll,
der neue Wege suchte, Langzeitarbeitslose in
den Arbeitsmarkt zu reintegrieren. Schaibles Angebot, ältere, schwer vermittelbare Arbeitslose bei
der GAB anzustellen und dann für einen Erprobungszeitraum an Firmen auszuleihen, fand Boll
interessant und förderungswürdig. Allerdings
müsse das Landesarbeitsamt zustimmen – und das
stimmte zu, zumal Schaible für seine Diplomarbeit mit dem Förderpreis der Bundesanstalt für
Arbeit ausgezeichnet worden war. Danach beschäftigte die GAB fünf Jahre lang ständig mindestens zehn ältere Arbeitslose. Die wissenschaftliche Begleitung des Projektes zeigte, dass viele
ihre Chance nutzten, ihr Können unter Beweis zu stellen und binnen kurzer Zeit fest übernommen wurden.
Expansion: die Konsolidierung der GAB
Inzwischen war Franz Schaible immer deutlicher
klar geworden, dass Arbeitslose ohne jegliche Unterstützung schnell den Mut und das Selbstbewusstsein verlieren. Sie brauchen die Möglichkeit,
sich im Kreise von Betroffenen auszutauschen, brauchen aber auch Beratung und Fortbildung.
Franz Schaible ging daran, in Bielefeld ein Arbeitslosenzentrum
mit eigenen Werkstätten, einer Küche und Freizeitangeboten aufzubauen, wiederum mit Unterstützung von Arbeitsamtsdirektor
Boll. Ende 1982 stellte die Stadt Bielefeld ein heruntergekommenes Fabrikgebäude an der Jöllen-
becker Straße 37 a zur Verfügung, für dessen Sanierung bereits auf dem Weihnachtsmarkt 1982 geworben worden war. Mit vereinten Kräften
wurde es umgebaut und am 21. Juni 1983 eröffnet.
Die Saat ging auf
, könnte man im christlichen Sinne Franz Schaibles schon hier feststellen,
denn die GAB expandierte kontinuierlich: 1984 wurden neue Räume für überbetriebliche Ausbildung in der August-Bebel-Straße 22 bezogen,
deren Größe nur zwei Jahre ausreichte. 1986 erfolgte der Umzug in die August-Bebel-Straße 57,
das Werksgebäude der ehemaligen Hemdenfabrik Schäffer & Vogel, das 5.000 Quadratmeter Fläche
hatte und bis zum 1. Januar 1990 genutzt werden konnte. Hier entstanden eine Möbel- und Kleiderbörse sowie eine Recyclingwerkstatt für Krankenhausgeräte, Rollstühle, Nähmaschinen etc. zugunsten von Entwicklungshilfeprojekten in Afrika
und anderswo, in der viele Arbeitslose Beschäftigung fanden, bis Investorengier hier eine wirtschaftlich noch kalkulierbare Nutzung unmöglich
machte. Die GAB war danach immer auf der Suche nach preiswerterem Mietraum und für eine
Reihe von Jahren verteilt im Stadtgebiet tätig – in der Heinrichstraße 26, der Eckendorfer Straße 41
und am Stadtring in Brackwede, bis 1996 die alte Kaserne in der Meisenstraße 65 zunächst gemietet, schließlich erworben werden konnte.
Schritt für Schritt
– das Zauberwort
Franz
Schaibles – kamen weitere Projekte hinzu: 1985 ein
Büroteil als Ausbildungs- und Schulungsort für
Bürokräfte und als Startbasis für Existenzgründer;
ausbildungsbegleitende Hilfen – zunächst in Eigenregie an den Carl-Severing-Schulen, dann allgemein im Auftrag der Arbeitsverwaltung.
Aus dem Papierrecycling, 1986 als ABM-Projekt gestartet, wurde innerhalb weniger Jahre eine wirtschaftlich selbstständige Einheit und als gewerbliche GmbH eine sichere Einnahmequelle, mit deren Hilfe Finanzierungslücken in anderen Projekten aufgefüllt werden konnten, bis die Stadt Bielefeld im Jahre 2007 das lukrative Geschäft mit allen Beschäftigten in Eigenregie übernahm.
Als schneller Macher
sorgte Franz Schaible
für Aufregung, als er 1986 die erste Eurobutter,
das erste Euro-Fleisch aus den überfüllten Tiefkühllägern der Europäischen Gemeinschaft nach
Bielefeld holte. Er hatte es schon an Sozialhilfeempfänger und andere Berechtigte weitergereicht,
als andere noch überlegten, wie dies organisiert werden könnte. Den ersten GAB-Ableger gründete
Franz Schaible 1987 in der Nachbarstadt Detmold.
Die deutsch-deutsche Grenze war gerade erst geöffnet, da machte er sich schon auf, in der noch existierenden DDR zu helfen: Altenheime und Krankenhäuser – meist in traurigem Zustand – wurden mit gespendeten aufgearbeiteten Möbeln, Pflegebetten, Operationstischen, Großküchen und medizinischen Geräten ausgestattet. Zugleich wurden Bielefelder Arbeitslose sinnvoll beschäftigt. Hilfe aus Bielefeld ging nach Dessau, Glauchau, Pösneck, Berlin, Weimar und Magdeburg.
Nach der deutsch-deutschen Vereinigung entstanden dann zwischen 1990 und 1992 an vielen Orten eigene GAB-Ableger, grundsätzlich mit eigener Gebrauchtartikelbörse, verbunden mit einem Dritte-Welt-Hilfsprojekt und der GAB Bielefeld als Muttergesellschaft, zunächst – noch als Arbeits- und Sozialförderungsgesellschaft (ASG) – eine Tochtergesellschaft in Dessau, dann als GAB in Magdeburg, Bitterfeld, Berlin, Weißwasser, Protzen (mit Zweigstellen in Neuruppin, Rheinsberg, Wittstock und Kyritz), Martinfeld, Glauchau, Ludwigsfelde, Hohenstein-Ernsttal und Haldensleben.
Diesem Vorbild folgend, entstanden dann auch Niederlassungen in den alten Bundesländern
: in
Essen (1993), Halle, Westfalen (1993–2012), Hannoversch-Münden / Duderstadt (1996), Meschede
mit Zweigstellen in Schmallenberg, Brilon, Marsberg, Sundern und Warstein (1996/1997). En passant und gewissermaßen nebenher engagierte sich
Franz Schaible für den dauerhaften Erhalt des DDR-Grenzübergangs Helmstedt-Marienborn, des
größten und bedeutendsten Grenzübergangs, der bis heute als Gedenkstätte Deutsche Teilung Marienborn zu erleben ist. Seine ABM-Kräfte aus
Magdeburg sicherten nach dem Mauerfall wichtige Exponate für die Gedenkstätte.
Bald lieferte die GAB Hilfsgüter weiter Richtung Osten: nach Kaunas in Litauen, der Partnerstadt das Kreises Lippe. Anfangs übernahm der
Kreis Lippe noch die Transportkosten für die Hilfsgüter, zog sich aber bald ganz zurück. Franz
Schaible gelang es dennoch immer wieder, Spenden für weitere LKW-Fahrten aufzutreiben. Wir
können die Leute doch nicht im Stich lassen
, lautete seine Devise, nach der er auch verfuhr, als es
um Kaliningrad, Nowgorod oder die Region um Tschernobyl ging.
Für die Stadt Bielefeld übernahm die GAB die aktive Unterstützung des Wiederaufbaus in der bosnischen Stadt Odzak, aus der viele Flüchtlinge stammten, die in Bielefeld Aufnahme gefunden hatten. Der Aufbau kommunaler Strukturen – Schule, Krankenhaus, Verwaltung – sollte ihre Rückkehrbereitschaft fördern, ausdrücklich im Interesse auch der kroatischen bzw. bosnischen Bürger. Als die ersten Berichte über die Not der Kosovo-Flüchtlinge in Albanien über die Bildschirme flimmerten, ließen sich Franz Schaible und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sofort Neues einfallen. Sie bauten Kontakte zu einer verlässlichen albanischen Partnerorganisation auf und schickten über Italien mehr als 20 LKW voll Hilfsgüter, darunter Wohncontainer, Fensterglas und Notstromaggregate für die Region Odzak.
Beschäftigung und Qualifizierung: Ideen ohne Ende
Auf der Grundlage seines Leitmotivs Beschäftigung und Qualifizierung
scheinen Franz Schaible
bis heute die Ideen kaum auszugehen, und ein Blick
auf die verschiedenen Tätigkeitsfelder seiner Initiativen bestätigt das eindrucksvoll: In der Bielefelder KreativWerkstatt werden Qualifizierungs-
und Beschäftigungsmaßnahmen für ALG II-Bezieher oder Hilfe beim Einstieg in den Arbeitsmarkt
angeboten. Die an nahezu jedem GAB-Standort
vorhandenen Gebrauchtartikelbörsen, im Sinne
eines stimmigen Corporate Design selbst auch
GAB
genannt, in denen zumeist langzeitarbeitslose Menschen tätig sind, sammeln alles, was noch
brauchbar und verwertbar ist, und bieten gute Waren Menschen mit geringem Einkommen zum
Kauf an. Mit einem Teil der Erlöse werden die
Transporte von Hilfslieferungen in ärmere Länder
unterstützt. In der betriebseigenen Kantine werden
junge Hauswirtschafter ausgebildet, die zugleich
für andere Arbeitslose und für die GAB-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter in der Meisenstraße 65
kochen. Im Projekt pc-recycling werden gespendete
Altcomputer sammelt, überholt und gegen ein
geringes Entgelt in der Gebrauchtartikelbörsen angeboten. Im Industriedenkmal Schiffshebewerk
Henrichenburg können Arbeitslose in Kooperation
mit dem LWL-Industriemuseum neue berufliche
Perspektiven im Metallbau entwickeln.
Tragischerweise führten die horrenden Veränderungen in der deutschen Sozialgesetzgebung
schon seit länger Zeit Veränderungen im GAB-System, zumal der 1. Januar 2005 – übrigens das
Jahr, in dem die GAB ihr 25-jähriges Bestehen ausführlich feiern wollte8 – sich als schwarzer Tag
für alle Arbeitslosen erwiesen hat: An diesem Tag
wurden steuerliche Erleichterung für Unternehmer
beschlossen, die Arbeitslosenhilfe abgeschafft und
durch die Gesetze zur Reform des Arbeitsmarktes
,
insbesondere von deren viertem Teil Hartz IV
, abgelöst, was für Millionen Arbeitslose eine Herabstufung auf das Existenzminimum bedeutete.
Bundeskanzler Gerhard Schröder versprach seinerzeit noch ersatzweise Beschäftigung im gemeinnützigem Bereich, zum Beispiel durch 1 Euro-Jobs
in nennenswertem Umfang – ein Versprechen, das
die christlich-soziale
Politik von Ursula von der
Leyen schon lange nicht mehr interessiert: Die Mittel der aktiven Arbeitsmarktpolitik wurden drastisch reduziert, die Beschäftigung von Arbeitslosen
im gemeinnützigen Bereich findet kaum noch statt.
Arbeitslosengelder und -hilfen wurden und werden
weiterhin gekürzt, Alimentation von Arbeitslosen
statt Beschäftigung und Qualifizierung steht auf
der politischen Tagesordnung – und das in einem
Land, das zu den führenden Wirtschaftsmächten
der Welt zählt!9
So musste der in Zusammenarbeit mit der Firma Marktkauf ins Leben gerufene Bestell- und Lieferservice für Senioren wegen fehlender Finanzierung bereits im Frühjahr 2011 ebenso eingestellt werden, wie die Projekte Traubenkirsche und Stadtbildpflege, die sich die Verschönerung der Stadt Bielefeld und das Heranführen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an eine betriebsnahe Arbeit zum Ziel gesetzt hatten. Zu den Tätigkeiten zählten die Pflege von städtischen Grünanlagen und Wegen, Spielplätzen und Parkplätzen, die Reinigung von Parkbänken, Spielgeräten und Schildern, das Verhindern von Wildwuchs der alles Wachstum überwuchernden Traubenkirsche oder das Beseitigen von wildem Müll. Immerhin gelang es, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stadtbildpflege heute bei der Stadt Bielefeld tätig sind.
Ebenso grundlegend für das Sozialnetzwerk Solidarität ist das Prinzip der Aus- und Fortbildung. Dazu gehören neben der genannten hauswirtschaftlichen Ausbildung in der GAB-Kantine (ausbildungsbegleitende Hilfen – abH – und weitere Ausbildungsmöglichkeiten) seit 2008 die Initiativen im Haus der Sozial-AG Ecke Kavallerie-/Paulusstraße (GAB Bildung), das Internet-Café im Arbeitslosenzentrum in der Werner-Bock-Straße und die GAB-Fahrschule, in der Arbeitslose und GAB-Mitarbeiter den PKW-Führerschein machen können.
Das dritte und letzte Prinzip von Franz Schaibles Netzwerk, Beratung und Vermittlung, wird im Arbeitslosenzentrum an der Werner-Bock-Straße und in der Beratungsstelle für Langzeitarbeitslose direkt gegenüber der Agentur für Arbeit erfüllt, das zu allen Fragen, die sich mit der Arbeitslosigkeit ergeben, berät und zusammen mit der Initiative Perspektive für Arbeitslose arbeitslosen und von Arbeitslosigkeit bedrohten Menschen, ihre beruflichen Ziele zu erkennen, neue berufliche Perspektiven zu entwickeln und individuelle Probleme bei Arbeitslosigkeit zu lösen.
Die Sozial-Aktien-Gesellschaft Bielefeld schließlich, 1999 gegründet, ist eine der ersten in Deutschland anerkannten gemeinnützigen Aktiengesellschaften. Die Aktionäre erhalten eine ungewöhnliche und neuartige Form von Wertpapieren: Aktien als Bilddrucke wie beispielsweise Kunst-, Wunsch- und Fotoaktien. Die Überschüsse des Aktienkapitals fließen gemeinnützigen Einrichtungen nach freier Wahl des Aktienerwerbers zu. Darüber hinaus setzt sich die Gesellschaft für die Förderung von Vereinen ein, betreibt das Spendenportal und die Alte Ziegelei Westeregeln und vergibt die Engagement-Card.
Die übergeordnete Dachorganisation für alle Aktivitäten ist die Stiftung Solidarität bei Arbeitslosigkeit und Armut, die das Netzwerk Solidarität organisatorisch und strukturell zusammenhält und die darüber hinaus den alljährlichen Regine-Hildebrandt-Preis vergibt. Die Stiftung betreibt den Bielefelder Sozialfonds, den Bielefelder Kinderfonds, Die Ankleide, in der gebrauchte und neue, aus Retouren stammende Textilien gegen einen symbolischen Verkaufspreis an bedürftige Familien und Einzelpersonen weitergegeben werden, den Hörzirkel, das Spendenportal, die Weihnachtslotterie, die Lebensmittelverteilstelle Von Hand zu Hand und das Solidarkaufhaus in Bielefeld-Sennestadt, das Kultur- und Kommunikationszentrum Sieker (KuKS) und gibt den Bielefeld-Pass und das Sozialticket aus. Schließlich ist die Stiftung Gesellschafter der Bielefelder Bauernhaus-Museum gGmbH.
Unverkennbar ist, dass die Anzahl der Projekte und Initiativen schier unübersehbar ist, und so ist
es mehr als konsequent, dass Franz Schaible bereits im Februar 2002 das Bundesverdienstkreuz
und den Preis für Bürgersinn
erhielt.
Solidarität, Nächstenliebe und humanistische Verantwortung
Unverschuldet in Arbeitslosigkeit und Armut gelangte Menschen protestieren nicht, sie gehen nicht
auf die Straße, sie schweigen und verstecken sich,
weil die Gesellschaft sie bereits diskreditiert hat: In
der sogenannten modernen Gesellschaft
wird alles
aus Marktsicht gesehen, wie auch der diskreditierende Begriff Arbeitsmarkt
zeigt, und wer aus diesem Markt verdrängt wird, hat einen Makel.
Dennoch baut das Netzwerk der Solidarität
von Franz Schaible auch weiterhin auf die Grundprinzipien Solidarität, Nächstenliebe und humanistische Verantwortung, um zur Lösung und
Linderung des Problems Arbeitslosigkeit und/oder
Armut beizutragen und hiervon betroffene und
bedrohte oder in Not geratene Menschen zu unterstützen. Neben dem Hauptziel – Förderung von
Solidarität und sozialer Gerechtigkeit für Arbeitslose und Arme – erbringen alle gemeinnützigen
Projekte einen doppelten Nutzen. Fraglich allerdings bleibt, wie sich diese Initiativen in der Zu-
kunft entwickeln können, denn sie bauen auch auf
eine Politik der sozialen (!) Marktwirtschaft mit
ihren finanziellen Ressourcen, die zunehmend
knapper werden, was sich auch im Sozialen Netzwerk Solidarität spiegelt: Waren in der Hochzeit
der sozialen Initiativen Franz Schaibles um 1993
durch Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM)
knapp 2.500 Menschen in Arbeit und Brot, sind es
heute noch etwa 1.000; mit dem Auslaufen der
aktuellen Bürgerarbeit
-Projekte im Jahr 2014
wird das noch deutlicher werden.
Noch hat Deutschland das eine oder andere wirtschaftlich hervorragend funktionierende Geschäftsmodell, das gut funktioniert, aber klar ist allen Verantwortlichen seit langer Zeit, dass sämtliche Wirtschaftsbereiche weniger Menschen brauchen, nach denen wegen des demografischen Wandels schon heute händeringend gesucht wird. Dennoch wird es auch langfristig auch dort Arbeitslosigkeit geben, wo Menschen im Wettbewerb des Arbeitsmarktes den Kürzeren ziehen. Für sie gilt es, sich weiterhin einzusetzen.
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